VON DUNKLEN ZEITEN
Predigt in Konstanz
28.7.2019
PSALM 88
„Ein Lied. Ein Psalm der Korachiter. Für den Dirigenten. Mit gedämpfter Instrumentalbegleitung. Ein kunstvoll gestaltetes Lied. Von Heman, dem Esrachiter. 2 Herr, mein Gott und Retter, Tag und Nacht komme ich vor dich und schreie zu dir. 3 Lass mein Gebet zu dir dringen! Schenk meinem Flehen ein offenes Ohr! 4 Denn meine Seele hat schon mehr als genug Leid erfahren. Ich bin an der Schwelle des Todes angelangt. 5 Man hält mich für einen, der dem Grab schon nahe ist, ich bin ein Mensch ohne jede Lebenskraft. 6 Dem Tod bin ich ausgeliefert wie einer der Gefallenen, die im Grab liegen, an die du schon nicht mehr denkst. Deine helfende Hand ist nicht mehr für sie da. 7 Du hast mich in eine abgrundtiefe Grube gelegt, in die tiefsten Tiefen des Meeres, wo finstere Nacht herrscht. 8 Dein Zorn lastet schwer auf mir, mit all deinen Wellen und Wogen drückst du mich nieder.// 9 Meinen vertrauten Freunden hast du mich entfremdet, du hast mich zu jemandem gemacht, den sie verabscheuen. Ich bin gefangen und weiß keinen Ausweg mehr. 10 Vor lauter Elend werden meine Augen schwächer, tagtäglich rufe ich zu dir, Herr, und strecke meine Hände zu dir aus. 11 Willst du denn an den Toten Wunder tun? Oder werden die Gestorbenen aufstehen, um dich zu preisen?// 12 Erzählt man sich etwa im Grab von deiner Gnade, in der Totenwelt von deiner Treue? 13 Werden im Reich der Finsternis deine Wunder bekannt gemacht und deine Gerechtigkeit in jenem Land, wo alles vergessen ist? 14 Ich aber – ich schreie zu dir, Herr, und schon am Morgen kommt mein Gebet vor dich. 15 Warum, Herr, hast du mich verstoßen? Warum verbirgst du dein Angesicht vor mir? 16 Von Jugend auf bin ich vom Leid gebeugt und dem Tode nah. Ich trage schwer an den Schrecken, die du über mich kommen lässt; ich bin völlig verzweifelt. 17 Dein Zorn überrollte mich wie ein Flammenmeer, deine schrecklichen Angriffe haben mich vernichtet. 18 Wie gefährliche Wellen schlagen sie über mir zusammen – den ganzen Tag, sie bedrängen mich von allen Seiten. 19 Meinen Freunden und Nachbarn hast du mich entfremdet, mein einziger Vertrauter ist die Finsternis.“ 1. Chronik 25, 4-6 „Von Heman die Söhne Hemans: Bukkija und Mattanja, Usiël, Schubaël und Jerimot, Hananja, Hanani, Eliata, Giddalti und Romamti-Eser, Joschbekascha, Malloti, Hotir, Mahasiot. 5 Alle diese waren Söhne Hemans, des Sehers des Königs nach der Zusage Gottes, seine Macht zu erhöhen; und Gott hatte dem Heman vierzehn Söhne und drei Töchter gegeben.6 Alle diese spielten unter der Leitung ihrer Väter, Asaf und Jedutun und Heman, beim Gesang im Haus des HERRN auf Zimbeln, Harfen und Zithern, für den Dienst im Haus Gottes, nach der Anweisung des Königs.“
Die Psalmen sind voller Gebete leidender Menschen. Menschen, die durch dunkle Zeiten gehen. Aber fast alle enden mit Hoffnung und mit Lob. Psalm 88 ist einer von zwei Psalmen in der Bibel (der andere ist der 39. Psalm), der ohne Happy End schließt. Im hebräischen Urtext endet der Psalm mit dem Wort „Finsternis“. Ich möchte diesen Psalm mit Euch heute morgen betrachten, weil er mich in der Leidenszeit vor der zweiten Transplantation begleitet und viel gelehrt hat. Um ehrlich zu sein, Niemand verstand es in jenen schrecklichen Stunden besser als Heman in seiner Dichtung und seiner Schilderung persönlich erfahrenen Leids, mein eigenes Erleben auszudrücken. Wenn man sich in unerträglichen, einsamen und ausweglosen Situationen befindet, erträgt man kein fröhliches Halleluja einer Gott preisenden, seligen Gemeinde. Da ist man in der Dunkelheit und sitzt in der Finsternis. Sie ist es, mit der man morgens aufwacht und mit der man Abends ins Bett geht. Und ich bin so froh, daß die Bibel die verzweifelten Worte von Menschen enthält und Raum gibt für die von Ihnen erlebte Realität. Psalm 88 wendet sich an Menschen, die an einen guten Gott glauben möchten, aber an der Güte Gottes angesichts der eigenen Katastrophe verzweifeln.
Was habe ich aus diesem Psalm gelernt?
Vier Punkte
1. Ein Christ kann sich eine lange Zeit in der Finsternis befinden, obwohl er Verheißungen der Hoffnung bekommen hat
2. Man lernt Nirgendwo mehr über die Gnade Gottes als in dunklen Zeiten
3. Dunkle Zeiten sind Zeiten, in denen man stark werden kann
4. Dunkle Zeiten können bleibend auf uns lasten, werden aber relativiert
1. Ein Christ kann sich eine lange Zeit in der Finsternis befinden, obwohl er Verheißungen der Hoffnung bekommen hat
Heman, der Autor des Psalms, war das, was wir heute einen Lobpreisleiter nennen würden. Er, sein Kollege Asaph und die Söhne Korahs waren von König David berufen worden, Gott Tag und Nacht zu loben. Von ihnen sind viele Psalmen überliefert worden. Von Heman nur der 88. Psalm. In 1. Chr. 25 haben wir gelesen, daß Heman Seher des Königs war. Seher, so nannte man damals einen Propheten. Einen Mann, dem Gott sein Wort und seinen Willen offenbarte. Heman hatte von Gott die Zusage erhalten, seine Macht zu erhöhen. Heman war ein Mann, dem Gott viel Gutes verheißen hatte. 14 Söhne hatte er, ihre Namen werden alle genannt, dazu noch drei Töchter- alle musikalisch wie ihr Vater. 14 Männer, die den Lobgesang im Tempel auf Instrumenten begleiteten. Quasi ein hauseigenes Sinfonieorchester. Welcher Vater wäre nicht stolz auf solche Söhne, alle im Dienst für den Herrn! Doch trotz Gottes Verheißung und äußerlich unanfechtbaren Beweisen von Gottes Segen schreibt Heman als Lebenszeugnis einen der erschütterndsten Psalmen. So leicht kann man sich in Personen täuschen. Hinter der Fassade der Musik, Dichtung und des Dienstes im Haus Gottes lauern Abgründe ungeahnten Ausmaßes. Heman ist kein Ungläubiger. Er nennt Gott seinen Retter, Vers 2. Er betet Tag und Nacht. Und doch verzweifelt Heman an Gottes Wegen. Er sieht in seinem Leben nur noch Finsternis. Nun gibt es zwei Arten von Dunkelheit. Da ist einmal die Dunkelheit, die von außen auf uns eindringt, durch Lebensumstände. Heman ringt anscheinend seit längerer Zeit mit dem Tod. Wir wissen nicht genau, was ihn an den Rand des Grabes gebracht hat- aber sein Leben scheint seit seiner Jugend permanent bedroht zu sein, Vers 16. Es könnte meine Lebensgeschichte sein. Zur äußeren Dunkelheit kommt aber noch eine innere Dunkelheit dazu. Wenn man äußerlich durchs dunkle Tal geht, aber innerlich den Frieden und die Liebe und Gegenwart Gottes spürt, dann wird Leid relativiert. Das ist bei Heman aber nicht der Fall. Er fühlt sich sich von Gott verlassen, verworfen, allein gelassen und unter Gottes Zorn stehend. Ein Mann, in äußerlicher und innerer Finsternis- trotz aller vertrauensvollen oder auch verzweifelten Gebete zu Gott, seinem Retter! Was können wir daraus lernen? Es kann sein, daß Du Gott vertraust und zu ihm betest, weil Du glaubst, daß er Deine einzige Rettung ist. Du kannst Gott sogar zeitlebens in verantwortlicher Stellung treu gedient haben. Du kannst von Gott Verheißungen des Segens empfangen haben. Trotzdem kann sich Dein Leben von einer Katastrophe zur nächsten bewegen und keines Deiner Gebete scheint erhört zu werdenund das über den Großteil Deiner Lebenszeit, vielleicht von Jugend auf! Und schließlich lernen wir, daß unsere Erwartungshaltung eine große Rolle beim Umgang mit persönlichem Leid spielt. Welcher Anteil der Schwere des Leids beruht nicht auf der Sache an sich, sondern auf den enttäuschten Erwartungen! Wenn wir davon ausgehen, daß wir als Christen vor schwerem Leid verschont bleiben, dann ist das Leid selbst nicht unbedingt von uns verursacht. Der falsche Umgang damit aber schon.
2. Man lernt Nirgendwo mehr über die Gnade Gottes als in dunklen Zeiten
Wenn wir uns den Psalm genauer anschauen, dann bestehen etliche Verse nur aus Fragen. „Willst du denn an den Toten Wunder tun? Oder werden die Gestorbenen aufstehen, um dich zu preisen?// 12 Erzählt man sich etwa im Grab von deiner Gnade, in der Totenwelt von deiner Treue? 13 Werden im Reich der Finsternis deine Wunder bekannt gemacht und deine Gerechtigkeit in jenem Land, wo alles vergessen ist?“ Das sind sarkastische Fragen rhetorischer Art. Hemans Fragen offenbaren die im Herzen befindliche Bitterkeit. Du, Gott, hast mich zum Lob Deines Namens begabt und berufen. Wie soll ich Dich loben, wenn ich tot bin? Was für einen Sinn macht Deine Berufung, wenn Du mir nicht erlaubst, sie zu leben? In anderen Worten: Gott, Dein Weg mit mir ist widersprüchlich, ja er erscheint mir völlig sinnlos. Mancher würde diese Worte unverschämt nennen, vielleicht sogar gotteslästerlich. Ja, das kann schon sein. Hiob hatte auch Freunde, die den anklagenden Charakter der Fragen und Vorwürfe Hiobs an Gottes Adresse schnell erkannten und verurteilten. Wie gut, wenn man Freunde und Geschwister hat, die so demütig sind, das sie das Gesagte nicht auf die Goldwaage legen. Wenn wir wie Heman gepeinigt werden, zermürbt sind, und sich eine ohnmächtige Verzweiflung und, ja, auch manchmal Zorn auf Gott und seine Wege mit uns im Inneren ausbreitet, dann sind wir in Gedanken und Worten nicht objektiv, nicht differenziert und, ach, so kontrolliert, wie wir oft daherreden. Nein, dann bricht sich Bahn, wie wir in diesem Moment wirklich denken. Wir verallgemeinern: von Jugend auf bin ich vom Leid gebeugt und dem Tode nah. Ich trage schwer an den Schrecken, die du über mich kommen lässt; ich bin völlig verzweifelt. (Vers 16) In anderen Worten: schon immer läßt Du mich verzweifeln. Du bist noch nie für mich da gewesen! Keiner meiner Freunde ist für mich da und alle, sogar Du, hassen mich! Wenn wir außer uns sind vor Schmerz, Furcht und Verzweiflung, neigen wir dazu, alles in unserem Leben durch diese Brille zu sehen. Wir vergessen die guten Zeiten und sehen nur noch das Schlechte. Das Ganze hat seinen Höhepunkt im letzten Vers: „mein einziger Vertrauter ist die Finsternis.“ Heman sagt im Grunde genommen: die Finsternis ist der einzige Freund, der mir geblieben ist. Ich dachte immer, Du, Gott, bist mein Freund, aber selbst die Finsternis ist ein besserer Freund als Du, denn Du hast mich schon lange verlassen, während sie immer noch da ist. Spätestens jetzt fragen wir uns, was dieses Gebet in der Bibel zu suchen hat. Derek Kidner sagt dazu: „the very presence of these prayers in Scripture is a witness to god’s understanding. God knows, how men speak when they are desperate.“ Die Tatsache, daß es Gott gefallen hat, Psalm 88 in sein Wort aufzunehmen, sagt eine ganze Menge über ihn aus. Anstatt Hemans Dichtung zu verbannen und sich von dessen harten anklagenden Worten zu distanzieren, scheint Gott sich mit Heman zu identifizieren. Gott ist eben ein Gott der Gnade. Er weiß, wie wir Menschen in unserer Verzweiflung reden. Gott sagt: Ich bin der Gott Hemans, obwohl dieser mich so hart beschuldigt. Als Gott am Ende mit Hiobs Freunden abrechnet, sagt er: „Und es geschah, als der HERR diese Worte an Hiob vollendet hatte, da sprach der HERR zu Eliphas, dem Temaniter: Mein Zorn ist entbrannt über dich und deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht recht von mir geredet, wie mein Knecht Hiob.“ (Hiob 42,7). Dabei hatten die Freunde Hiobs Gott zu verteidigen gesucht vor den wilden, im Affekt herausgeschleuderten Anklagen Hiobs. Gott ist ein Gott der Gnade! Was hat mich Psalm 88 gelehrt? Gott sagt: Ich bin nicht Dein Gott wegen Deiner Geduld, Deines Ausharrens und Deiner schönen, ehrfürchtigen Gebete. Ich bin Dein Gott, weil ich ein Gott der Gnade bin. Ich bin mit Dir trotz Deiner Anklagen, trotz Deines Zorns auf mich, trotz des mangelnden Ausharrens und trotz Deines Unglaubens. Wißt Ihr, wie befreiend das ist? Man lernt Nirgendwo mehr über die Gnade Gottes als in dunklen Zeiten!
3. Dunkle Zeiten sind Zeiten, in denen man stark werden kann
Dazu zwei Bibelstellen. „Zuletzt meine Brüder, seid stark in dem HERRN und in der Macht seiner Stärke!“, Eph. 6,10. Stark sein wollen wir alle. Aber sind wir auch bereit, den Weg zu akzeptieren, der stark macht? Paulus schreibt an anderer Stelle: „Und er hat mir gesagt: Du hast genug an meiner Gnade, denn die Kraft findet ihre Vollendung am Ort der Schwachheit. So rühme ich mich lieber meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir Wohnung nehme.“, 2. Kor. 12,9. Die Kraft Gottes und die Schwachheit, das Leid, die Krankheit des Menschen stehen in unmittelbarem Verhältnis. Wir sind uns unserer Ohnmacht und Abhängigkeit von Gottes Gnade oft erst bewußt, wenn es uns schlecht geht. Heman kämpft in seiner Verzweiflung mit der Güte Gottes, er klagt Gott an. Aber er hört nicht auf, mit Gott zu reden! Im Gegenteil, er betet mehr, als wir alle es zu tun pflegen, wenn es uns gut geht, nämlich Tag und Nacht. Das Erstaunliche an Heman ist, daß er den Kontakt zu Gott nie abgebrochen hat. Alle Umstände sprechen dagegen, daß Gott Hemans Gebete erhört. Und das führt nicht dazu, daß er weniger betet, sondern mehr! Das ist ein starker Glaube, dessen Intensität trotz widrigster Umstände zunimmt! Glaubst Du auch dann noch, wenn Gott Dir alles nimmt? Satan stellte Gott die Frage: „Fürchtet Hiob Gott etwa umsonst?“ Statt Hiob kannst Du Deinen Namen einsetzen. Sind wir Menschen, die Gott fürchten und lieben, selbst wenn wir keine Vorteile erleben? Es kann sein, daß unser Herr und Meister Jesus uns einmal einem Glaubens-TÜV unterzieht und gravierende Mängel feststellt. Dann wird er uns vielleicht an den Ort der Schwachheit führen, damit er zum Ort der Stärkung unseres Glaubens werde. Am Ende vom Buch „Herr der Ringe“ kämpfen sich Frodo und Sam zum Schicksalsberg empor. Sie sind am Ende der Kräfte und haben keine Hoffnung mehr. Sam und Frodo erkennen, daß sie beide sterben werden. Das Beste wäre es, sich zusammenzurollen und einfach einzuschlafen. Dann geschieht dies: „But even as hope died in Sam, or seemed to die, it was turned to a new strength. Sam's plain hobbit-face grew stern, almost grim, as the will hardened in him, and he felt through all his limbs a thrill, as if he was turning into some creature of stone and steel that neither despair nor weariness nor endless barren miles could subdue.“ (Aber gerade als die Hoffnung in Sam erstarb oder zu ersterben drohte, verwandelte sie sich zu neuer Stärke. Sams schlichtes Hobbit-Antlitz wurde ernst, geradezu grimmig, als sich der Wille in ihm erhärtete und er spürte durch alle Glieder eine Erregung, als ob er sich in ein Wesen aus Stein und Stahl verwandelte, das weder Verzweiflung noch Müdigkeit noch endlose karge Kilometer bezwingen konnten). In der Dunkelheit zeigt sich Sams wahre Größe. In der Dunkelheit lösen wir uns vom geschäftsmäßigen Denken (Gott gibt Segen, ich diene ihm). Wenn wir keinen Vorteil aus der Beziehung zu unserem Herrn ziehen können ist es, als ob Gott uns fragt: liebst Du wirklich mich oder nur meine Gaben? Dann sind wir am Kern unseres Glaubens. Wer in dieser Prüfung an Gott festhält, wer sagt: ich liebe Dich trotzdem und ich werde Dich immer lieben, komme, was wolle, bei dem ist Gott zum Ziel gekommen. Dessen Glaube hat sich bewährt als viel kostbarer als Gold, weil er durchs Feuer gegangen ist.
4. Dunkle Zeiten können bleibend auf uns lasten, werden aber relativiert
Für Heman war die Dunkelheit und das Leid absolut und unabänderlich. Er verzweifelte auch daran, daß er seinem Auftrag als Dichter von Lobliedern nicht nachkommen konnte. Wir wissen, daß das nicht stimmt. Als Vorsteher der Familie Kehat sind viele ihrer Psalmen überliefert worden. Und diese Psalmen gehören literarisch zum Schönsten, was Dichter je hervorgebracht haben. Die Schriftstellerin Nelly Sachs schrieb über David- und man kann dasselbe von Heman sagen: „Aber im Mannesjahr maß er, der Vater der Dichter, in Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus und baute in Psalmen Nachtherbergen für die Wegwunden“. Heman hat mit seinem 88. Psalm eine Nachtherberge für die Wegwunden gebaut. Millionen von Menschen sind an Psalm 88 vorbei gehinkt und fanden Zuflucht in seiner Dichtung. Auch ich bin einer, der dort genächtigt hat. Wißt Ihr, wie durch Druck aus einem Stück Kohle ein Diamant wird? Gott war Heman in seinem Leid nahe. Er formte ihn im Leiden zu einem großen Künstler. Hat Heman gewußt, daß ein Christ knapp 3000 Jahre später Trost in seinem Psalm findet? Daß heute darüber gepredigt wird? Das hat Heman nicht gewußt. Somit ist Hemans Leiden im Augenblick des Erlebten unerträglich, im Rückblick aus der Gegenwart aber überaus kostbar. Wir überblicken unsere Geschichte nicht. Aber wir dürfen wissen, daß Gott uns niemals verläßt, selbst dann nicht, wenn er weit weg oder gänzlich abwesend erscheint. Woher wissen wir das? Der Psalm endet mit einem Mann, der von Gott verlassen in der Dunkelheit ist. Kommt Euch das bekannt vor? „Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, Matth. 27,45 -46. Die Rede ist von Jesus Christus. Heman dachte, daß er der ultimativen Finsternis ausgesetzt und von Gott verlassen sei. Doch Jesus allein erlebte das, was Heman beschreibt. Er war wirklich der Einzige, dessen einziger Freund die Finsternis war. Sein Volk, seine Familie, seine Jünger und sogar sein Vater hatten ihn verlassen. Sein Leben endete in der Finsternis, blutig, am Kreuz mit dem Tod ringend. Heman dachte, es könnte nicht schlimmer kommen. Viele Leidende meinen, es könne nicht schlimmer kommen. Und Jesus wußte auch, daß es nicht Schlimmer kommen könne. Wenn Jesus noch Schlimmeres als jeder Leidende persönlich erlebt hat, fragt man sich, warum? „Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.“, Hebr. 4,15-16. Eines Tages ging mir, dem nach Atem Ringenden auf, daß mein Herr Jesus mich wirklich versteht! Er kennt Atemnot aus dem eigenen Erleben, als er sich, vor Schmerz stöhnend, an den durchbohrten Händen hochziehen mußte, um seinen nach unten sackenden Körper mit Luft zu füllen. Die noch viel wichtigere Antwort auf die Frage nach dem Warum ist aber die: Um den Menschen aus der ewigen Dunkelheit und Gottverlassenheit zu erretten. Erinnert Ihr Euch an Hemans sarkastische Frage in Vers 11: „Willst du denn an den Toten Wunder tun? Oder werden die Gestorbenen aufstehen, um dich zu preisen?“ Ich kann diese Frage beantworten. Und die Antwort heißt Ja. Ich schließe mit einem Gedicht von Andreas Fett, das ich einmal in meine Bibel geklebt habe: „Das ist das größte Wunder nicht, Das unser Herr uns tut, Wenn er mit starker Hand zerbricht Ein Leid, das auf uns ruht. Wenn er von Grimm, der an uns zehrt, Von Krankheit, die den Leib verheert Allmächtig uns erlöste. Das ist noch nicht das Größte. Doch wenn den Dorn im Fleisch er läßt, In Schwachheit stark uns gehn, Das Wörtchen Dennoch halten fest, Vertrauen ohne Sehn. Wenn er uns lehrt das Murren fliehn Mit Kindesblick nur bitten ihn, Daß Er uns fördre, tröste. Das Wunder ist das Größte.“