Gottes Säge
Predigt in Konstanz
13. März 2022
1.Mose 32:23-32
„Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok. 24 Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte. 25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. 26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. 27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. 28 Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. 29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. 30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. 31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. 32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte. 33 Daher essen die Israeliten nicht das Muskelstück auf dem Gelenk der Hüfte bis auf den heutigen Tag, weil er den Muskel am Gelenk der Hüfte Jakobs angerührt hatte.“ „Ich wünsche Dir Gottes Segen“ - so grüßen oder verabschieden sich Christen auf der ganzen Welt. Das wünschen wir uns zum Geburtstag oder wenn wir Jemanden zu einem Dienst verabschieden. Mir wird das auch oft gesagt und auch ich freue mich, wenn ich Jemandem von Euch Gottes Segen wünschen darf. Gottes Segen - was ist das eigentlich? Für die meisten unter uns ist der Segen Gottes das summa summarum aller Wohltaten Gottes an uns Menschen, eine Melange aus Gesundheit, Wohlergehen, Fruchtbarkeit, Erfolg und Gelingen. Und da haben Christen die Heilige Schrift durchaus auf ihrer Seite. Isaak segnet seinen Sohn Jakob mit diesen Worten (1. Mo. 27,27-29): „Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie der Geruch des Feldes, das der HERR gesegnet hat. Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle. Völker sollen dir dienen, und Stämme sollen dir zu Füßen fallen. Sei ein Herr über deine Brüder, und deiner Mutter Söhne sollen dir zu Füßen fallen. Verflucht sei, wer dir flucht; gesegnet sei, wer dich segnet!“ Und Jakob wiederum segnet seinen Sohn Joseph mit folgendem Segen, 1. Mo. 49, 22-26: „Ein junger Fruchtbaum ist Josef, ein junger Fruchtbaum an einer Quelle, dessen Zweige emporsteigen über die Mauer. Und wiewohl ihn die Schützen erzürnen und gegen ihn kämpfen und ihm nachstellen, so bleibt doch sein Bogen fest und seine Arme und Hände stark durch den Mächtigen in Jakob. Von dort kommt der Hirte, der Fels Israels. Von deines Vaters Gott werde dir geholfen, und von dem Allmächtigen seist du gesegnet mit Segen oben vom Himmel herab, mit Segen von der Flut, die drunten liegt, mit Segen der Brüste und des Mutterleibes. Die Segnungen deines Vaters waren stärker als die Segnungen der ewigen Berge, die köstlichen Güter der ewigen Hügel. Mögen sie kommen auf das Haupt Josefs und auf den Scheitel des Geweihten unter seinen Brüdern!“ Das wünschen wir uns doch alle, einen solchen Segen! Wenn man ins Schwabenland kommt, oder auch in die Schweiz, dann heißt das ein wenig anders. „Ich wünsche Dir Gottes Säge!“. Für einen Zimmermann wie Mathias hat das eine spezielle Bedeutung. Die Begegnung mit einer Säge hat unterschiedliche Auswirkungen und ist davon abhängig, ob man Holz oder Handwerker ist. Sie kann eine einschneidende Erfahrung sein und gravierende Folgen haben. Segnen heißt in Griechischen „eulogeo“, übersetzt: „gut reden von“. Im Deutschen steckt im Wort „segnen“ aber auch das Lateinische „signare“: etwas mit einem Zeichen versehen, Jemanden zeichnen, etwas signieren. Als Jakob am Jabbok mit seinem geheimnisvollen Gegner kämpft, sagt er: „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“. Dann wird dieser Mann gesegnet, aber er ist fortan gekennzeichnet, orthopädisch auffällig. Er hinkt an seiner Hüfte, ist von jetzt an an seinem Gang für Jeden schon von Weitem erkennbar. Sein Segen ist ein Handycap und Jakob könnte im Landratsamt einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen. Schmerzen und ein Stock werden von nun an sein Begleiter sein. Man muß sich diese äußerst merkwürdige Geschichte eines ungewöhnlichen Segens mal bildlich vorstellen. Jakob kommt also am Morgen nach dem Kampf ins Lager der Familie gehinkt, die Kleidung zerrissen, blutunterlaufen, vor Schmerzen stöhnend. Alles strömt herbei. Was ist denn passiert? Hat Esau Dir doch aufgelauert und Dir Deine Tat von damals heimgezahlt? Und Jakob entlockt es trotz seiner Schmerzen ein kleines, feines Lächeln und er sagt leise: „Nein, ich bin Gott begegnet und gesegnet worden!“. An dieser Geschichte und an Gottes Art, Jemanden zu segnen, habe ich seit vielen Jahren herum gekaut. Ich bin nämlich auch Einer, der Gottes Säge erlebt hat. Ich bin ein Gezeichneter, ich habe wahrhaft einschneidende Erlebnisse hinter mir. Man sieht sie, wenn ich meinen Oberkörper frei mache und ich werde sie bis an mein Lebensende deutlich sichtbar behalten. Gottes Säge kann bedeuten, daß mein Leben signiert wird, daß es äußerlich auffällig wird und unverkennbare tiefe Gravuren erhält. Daraus kann man kein Schema machen. Gott segnet nicht immer auf diese Art und Weise. Sein Segen muß nicht mit einer körperlichen Erfahrung einhergehen wie bei Jakob, bei Hiob, bei David, bei mir. Aber Gott kann es. Wenn Du demnächst Jemandem „Gottes Säge“ wünscht, dann denke daran, daß Du ihm durchaus etwas zumutest, eine Erfahrung vielleicht, die ihn kennzeichnet oder auszeichnet. Stellen wir uns also darauf ein: der Segen Gottes muß nicht kennzeichnen, er kann aber durchaus zum einschneidenden Erlebnis werden. Uns Menschen, die wir unsere Vorstellung von Gottes Segen haben, fällt es schwer, solche Erlebnisse und Wege als Segen zu erkennen. Petrus schreibt einmal am Ende des ersten Briefes an die Christen, die unter schwerem Beschuss inmitten einer brutalen Verfolgung standen, einen Satz, der uns ganz unverständlich und unpassend vorkommt, 1. Petr. 5,14-15: „Durch Silvanus, den treuen Bruder, wie ich denke, habe ich euch mit Wenigem geschrieben und euch ermahnt und bezeugt, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr steht.“ Verfolgung und Leid um Christi Willen bringt Niemand von uns mit der Gnade Gottes in Verbindung. Das Ziel von Gottes Segen ist nicht zuerst das leibliche, familiäre oder wirtschaftliche Wohlergehen, sondern der Aufbau, die Verbesserung und der Erhalt einer gesunden und haltbaren Beziehung zu Gott. „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen.“ sagt Hiob in Kap. 42,5 am Ende seiner Leidensgeschichte, in der er an Gottes unverständlichen Wegen mit ihm nahezu zerbrochen ist. Und Jakob? Ist sein ausgerenktes Hüftgelenk denn der einzige Segen, den er bekommen hat? Welcher Gott wäre so zynisch, seinen Knecht, nach dessen Namen er sich später für alle Generationen nennen wird, so abzuservieren? Nun, Jakob geht ja als bereits Gesegneter in den Kampf. Jakob hat den Segen Gottes immer gewollt. Er hat sich den Erstgeburtssegen mit List erschlichen und hat ihn auch bekommen. Als Folge davon erlebte er eindrücklich, daß er als ein Niemand aus seiner Heimat floh und als ein reicher Mann mit einer großen Familie zurückkehrte. Die Segnungen seines Vaters hat er also bekommen. Jakob muß in seinem Inneren gespürt haben, daß da noch etwas fehlt. Was fehlt ihm denn, daß er den unbekannten Gegner so verzweifelt um Segen bittet? Das Vakuum in seinem Inneren, das nach Gott schrie, ließ ihn ausrufen: „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“. In dieser äußerst nebulösen Geschichte muß Jakob mitten im Kampf gemerkt haben, daß er hier dem lebendigen Gott gegenüberstand, daß er mit Gott kämpfte. In Hosea 12,5 wird der Kampf erläutert: „Er kämpfte mit dem Engel und siegte, er weinte und bat ihn“. Unglaublich- Gott läßt sich bezwingen. Und Jakob, der Sieger, weint - und bittet. Der Engel Gottes segnet Jakob noch an Ort und Stelle. Aber erst, nachdem er Jakobs Sitz der Stärke gebrochen hat. Worin liegt jetzt der Segen Gottes? Zunächst einmal darin, Gott von Angesicht zu begegnen, ihn zu bezwingen und sich von ihm bezwingen zu lassen. Jakob ist von jetzt an ein offizieller Gewinner, biblisch beglaubigt. Aber Jakob wird sich fortan ganz auf Gott verlassen müssen. Jeder Schritt erinnert ihn schmerzhaft daran, daß er mit Gott gekämpft hat - und ihn dort im Kampf gefunden hat. Fortan ist der Gott seiner Väter sein Gott. Jakobs Zeugnis ist seither das Zeugnis aller, die Gott gefunden haben: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“ Neben einer unmittelbaren Gottesbegegnung bekommt Jakob aber auch einen neuen Namen und damit eine neue Identität. Er heißt in Zukunft nicht mehr Jakob, Betrüger, Überlister, Fersenhalter, sondern Israel, „denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.“. Israel - der Name formt von jetzt an Person und Charakter.
Und ich? Ich heiße Johannes, das bedeutet: „Gott ist gnädig“.